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Wie das bedingungslose Grundeinkommen unsere Arbeitswelt verändern könnte

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Wie würde unsere Arbeitswelt wohl aussehen, wenn jeder von uns ein garantiertes Grundeinkommen erhalten würde? Zehn Experten vertreten teils sehr unterschiedliche Meinungen

 

Was würden Sie tun, wenn Sie jeden Monat 1000 Euro fürs Nichtstun bekommen würden? Würden Sie Ihren Job hinschmeissen? Ein eigenes Unternehmen gründen? Ihren Traum wahrmachen und um die Welt reisen? Sollte das bedingungslose Grundeinkommen jemals eingeführt werden, könnten Sie sich diese Fragen eines Tages ernsthaft stellen müssen.

Die Idee, dass jeder Bürger und jede Bürgerin jeden Monat ein garantiertes, also bedingungsloses Einkommen erhält, ist nicht neu. Sie wurde unter anderem von Martin Luther King und dem konservativen Ökonomen Milton Friedman unterstützt. Doch in den letzten Jahren haben Städte auf der ganzen Welt damit begonnen, dieses Gedankenexperiment in der Realität auszutesten. Elon Musk, Mark Zuckerberg und der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom Angus Deaton haben ihre Zustimmung bekundet.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen wären enorm. Die Frage lautet: Was glauben Experten, wenn es um die Auswirkungen eines möglichen bedingungslosen Grundeinkommens auf die Arbeitswelt geht?

1. Eine vitalisierte Arbeiterschaft

Sie glauben, Sie würden Ihrem Chef sofort die Kündigung überreichen, sobald man das bedingungslose Grundeinkommen einführen würde? Denken Sie vielleicht nochmal darüber nach. Laut Jim Pugh, einem Mitbegründer des Universal Income Project, haben viele Studien bereits belegt, dass nur sehr wenige Leute wegen des Grundeinkommens aufhören würden, zu arbeiten. Im Guardian schreibt er: «Bei einigen Probeläufen stellte sich sogar heraus, dass das Grundeinkommen den Unternehmergeist der Menschen verbessert, was wiederum zu mehr Arbeitsplätzen beitragen würde. Die Wahrheit ist nämlich Folgende: Die Menschen wollen einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Und wenn wir ihnen eine grundlegende finanzielle Sicherheit bieten, finden sie auch Wege, dies zu tun.»

2. Produktivere Arbeiter

Noch dazu kann uns ein garantiertes Einkommen zu glücklicheren und produktiveren Arbeitskräften machen. «Während sich die Menschen an diese neue Art der Freiheit gewöhnen, könnten sich eine Reihe positiver Veränderungen ereignen», erklärt Chris Agnos(2), Gründer von Sustainable Human, einer millionenstarken Online-Community, die sich mit Fragestellungen rund um das Thema Nachhaltigkeit befasst. «Zum einen könnten Arbeitgeber bei ihren Mitarbeitern keine Existenzängste mehr ausnutzen, da bei einem Jobverlust niemand mehr Angst haben müsste, all sein Hab und Gut zu verlieren. Stattdessen könnten die Arbeitnehmer dynamischere und bessere Arbeitsbedingungen verlangen.»

Er glaubt, dass die Menschen mit mehr Leidenschaft an ihre Arbeit gehen würden, wenn sie die Jobs machen könnten, die sie wirklich gerne machen. «Aus einer aktuellen Studie geht hervor, dass 70 % der Menschen ihren Job hassen – wir haben es also mit 70 % der Bevölkerung zu tun, die lieber etwas anderes mit ihrem Leben machen würden», sagt Agnos. «Diese systematische Plackerei fordert ihren Tribut von uns: Wir lächeln und lachen seltener und erleben nur einen Bruchteil der Freude, die wir unter anderen Umständen empfinden könnten.»

3. Mehr Unternehmer

Gute Ideen hat man meistens dann, wenn man Zeit zum Nachdenken hat – doch das ist nicht immer der Fall, wenn man im täglichen Hamsterrad gefangen ist. Darauf bezieht sich auch das Argument, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen Menschen die Freiheit geben würde, neue Geschäftsmöglichkeiten zu verfolgen. In einer Diskussion von Freakonomics Radio(3) zum bedingungslosen Grundeinkommen weist die Ökonomin Evelyn Forget von der University of Manitoba in Kanada darauf hin, dass einige der grossen wissenschaftlichen und kulturellen Durchbrüche des 18. und 19. Jahrhunderts von Menschen gemacht wurden, die nicht arbeiteten. «Diese Gentlemen mussten eigentlich nichts tun, ausser ihre Freizeit zu geniessen», sagt Forget. «Ich glaube nicht, dass sie sich nutzlos fühlten. Ich glaube auch nicht, dass ihre Beiträge unerheblich waren.»

4. Menschen kehren ins Berufsleben zurück

Das bedingungslose Grundeinkommen schafft Arbeitsplätze. «Das aktuelle Sozialleistungssystem gibt keine Anreize für Beschäftigung, da viele Haushalte kaum wirklich mehr Geld in der Tasche haben, wenn sie mehr verdienen», schreibt Dr. Malcolm Terry, Director des Citizen’s Basic Income Trust im Guardian(4). Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen würden viele Haushalte aus dem System der Bedürftigkeitsprüfungen herausfallen, sodass auf zusätzliches Einkommen geringere Abzüge berechnet werden. «Das aktuelle System der Arbeitnehmerhilfen fungiert als eine Art beträchtlicher Subvention für Gehälter, da Steuervergünstigungen steigen, wenn Gehälter sinken. Bei einem Grundeinkommen wäre dies nicht der Fall, sodass dieser Subventionseffekt geringer ausfallen würde.»

5. Besser ausgebildete Schulabgänger

Könnte das bedingungslose Grundeinkommen zu einer besser ausgebildeten Arbeiterschaft führen? Möglicherweise. «In den 1960er und 1970er Jahren zogen die USA und Kanada die Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens ernsthaft in Betracht», schreibt Joel Dodge in einem Artikel für Quartz(5). In dieser Zeit liessen die beiden Länder eine Reihe von Experimenten durchführen, um die Auswirkungen eines Grundeinkommens insbesondere auf die Arbeit zu erforschen. Eines der wichtigsten Erkenntnisse betraf den Effekt eines solchen Systems auf junge Leute. Dodge erklärt: «Teenager nahmen seltener Teilzeitjobs an, um sich auf die Schule konzentrieren zu können. Dies führte zu einem merkbaren Rückgang der Anzahl von Schulabbrechern in der kanadischen Stadt Dauphin sowie zu einem Anstieg im zweistelligen Prozentbereich bei den High-School-Abschlüssen in teilnehmenden Familien in New Jersey, Seattle und Denver.»

6. Leichterer Übergang in das Roboterzeitalter

«Die Fortschritte bei künstlicher Intelligenz, in der Robotik und bei anderen Technologien haben die Zukunft der Arbeit in Frage gestellt», sagt Shanta Devarajan, Senior Director für Entwicklungsökonomie bei der Weltbank(6). Da einige Technologien, z. B. selbstfahrende Autos, dazu führen würden, dass Menschen ihre Arbeit verlieren, würde das bedingungslose Grundeinkommen der Gesellschaft bei diesem Übergang helfen. «Ein System, in dem ein Teil der gestiegenen Produktivität besteuert und in Form von Bargeld an alle Bürger und Bürgerinnen verteilt wird – ganz gleich, ob diese arbeiten oder nicht – könnte einige der Spannungen auflösen.»

6. Eine Bedeutungsverschiebung in Bezug auf Arbeit

«Unsere Gesellschaft profitiert von zahlreichen Leistungen, die häufig nicht vergütet werden», sagt Clare Ozich, Executive Director des Australian Institute of Employment Rights(7). «Der spannendste Aspekt der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen besteht in der Diskussion, die wir darüber führen, wie wir Arbeit wahrnehmen und welchen Wert wir welcher Art von Arbeit beimessen.»

Sie fügt hinzu: «Einer der Kritikpunkte in Hinblick auf das bedingungslose Grundeinkommen lautet, dass Menschen etwas ohne Gegenleistung erhalten. Aber stimmt das überhaupt? Gibt es nicht jetzt schon viele verschiedene Möglichkeiten, wie wir zur Gesellschaft beitragen, auch ausserhalb des engen Konzepts bezahlter Arbeit? Elternschaft, Elternzeit und Ehrenämter und die Arbeit und Zeit, die wir in die Erhaltung unserer Erde stecken, sind alles Formen von Arbeit, mit der wir unserer Gesellschaft in vielerlei Weise helfen. Doch häufig messen wir unserem Beschäftigungsstatus – also dem, wofür wir unser Gehalt bekommen – einen grösseren Wert bei als den Stunden nach der Arbeit, in denen wir uns anderweitig engagieren.»

 

Doch andererseits …

8. Eine demotivierte Gesellschaft

«Das bedingungslose Grundeinkommen könnte den sozialen Zusammenhalt gefährden», schreibt Ian Goldin, Professor für Globalisierung und Entwicklung an der University of Oxford, in der Financial Times(8). «In keiner anständigen Gesellschaft sollten bittere Armut oder Hunger toleriert werden. Doch für diejenigen, die etwas leisten können, sollte Hilfe darauf ausgelegt werden, dass Einzelne und Familien dabei unterstützt werden, an der Gesellschaft teilzuhaben, Arbeitslosigkeit zu überwinden und Arbeit zu finden, indem sie sich umschulen lassen oder umziehen. Wann immer möglich sollten Sicherheitsnetze dazu dienen, Menschen in sinnvolle Beschäftigungsverhältnisse zu bringen und an der Gesellschaft teilnehmen zu lassen. Sie sollten Menschen nicht in eine lebenslange Abhängigkeit bringen.»

Er fährt fort: «Wenn man das Einkommen von der Arbeit abkoppelt und Menschen dafür belohnt, dass sie zu Hause bleiben, ist das ein Auslöser für den sozialen Verfall. Kriminalität, Drogen, zerrüttete Familien und andere sozial destruktive Ereignisse treten dort mit höherer Wahrscheinlichkeit auf, wo eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Das lässt sich an der Drogen-Epidemie in den USA gut belegen.»

9. Menschen erhalten niedrigere Gehälter – vielleicht

Würde das garantierte Grundeinkommen zu einem Nachteil bei den Gehältern führen? In einem Bericht aus dem Jahre 2017(9) stellt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fest: «Ein Grundeinkommen könnte zu einem Ungleichgewicht in Gehaltsverhandlungen führen, und es könnte passieren, dass Arbeitgeber versuchen, die Gehälter zu senken.» Andererseits weist der Bericht auch darauf hin, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eine wichtige Rolle dabei spielen könnte, eine angemessene Vergütung sicherzustellen: Arbeitnehmer müssten sich nicht mehr mit einer schlechten Bezahlung zufriedengeben, da sie mehr alternative Beschäftigungsoptionen hätten.

10. Die eigentlichen Probleme bleiben ungelöst

«Das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen einhergehende Konzept des Endes der Arbeit ist zutiefst fehlerhaft», sagt Sonia Sodha, Chief Leader Writer beim Observer(10). «Die Erkenntnis, die wir aus der Deindustrialisierung der letzten Jahrzehnte ziehen sollten, ist nicht, dass denen, die keine Jobs mehr haben, Bares in die Hand gedrückt werden sollte. Stattdessen sollten wir bereit sein, in deren Umschulungen zu investieren, damit sie andere Jobs annehmen können.»

«Wir sollten uns für eine Gesellschaft einsetzen, in der jeder das Recht auf einen vernünftig bezahlten Job hat, der ihm Autonomie und Erfüllung bietet, und nicht für eine Zukunft, in der ein grosser Teil der Bevölkerung von mageren staatlichen Geschenken lebt. Wenn überhaupt ist das bedingungslose Grundeinkommen eine gefährliche Ablenkung von der Frage, wie wir die Qualität der Arbeit verbessern können.»

 


Quellen:

(1) https://www.theguardian.com/cities/2018/jun/27/benefit-or-burden-the-cities-trying-out-universal-basic-income

(2) https://upliftconnect.com/universal-basic-income/

(3) http://freakonomics.com/podcast/mincome/

(4) https://www.theguardian.com/business/2017/feb/03/universal-basic-income-can-help-battle-inequality

(5) https://qz.com/765902/ubi-wouldnt-mean-everyone-quits-working/

(6) https://www.brookings.edu/blog/future-development/2017/02/15/three-reasons-for-universal-basic-income/

(7) https://www.greeninstitute.org.au/wp-content/uploads/2016/12/Less_Work_More_Fair_WEB_BM.pdf

(8) https://www.ft.com/content/100137b4-0cdf-11e8-bacb-2958fde95e5e

(9) http://www.oecd.org/social/soc/Basic-Income-Policy-Option-2017.pdf

(10) https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/jul/10/mark-zuckerberg-universal-basic-income-facebook-tax