Die Wissenschaft hinter Ihrer Bürowahl

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Die Hassliebe, die Sie Ihrem Büro gegenüber empfinden, lässt sich wissenschaftlich erklären.

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Von der Raumtemperatur am Arbeitsplatz bis zur Kunst an den Wänden. Sie denken vielleicht, dass Ihr Geschmack bezüglich des Bürodesigns so einzigartig ist wie Sie selbst. Sie werden durch bestimmte Faktoren jedoch mehr beeinflusst, als Ihnen bewusst ist. Etan Smallman untersucht in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Generation, Geschlecht und Kultur.

 

Wenn es um Büroräume geht, kann das, was für den einen Mitarbeiter das Paradies ist, für einen anderen ein Albtraum sein. Grossraumbüros und Minimalismus könnten genauso gut als klinisch und seelenlos empfunden werden. Ein Raum, der auf Sie persönlich und gemütlich wirkt, kann auf Ihren Kollegen am Schreibtisch nebenan überladen und störend wirken.

Die Herausforderung liegt darin, dass ein bestimmtes Konzept häufig nicht allen Mitarbeitern gleichermassen gefällt. Unsere Vorlieben in Bezug auf das Bürodesign – von Beleuchtung und Sitzgelegenheiten bis zur Anordnung der Schreibtische und der Nähe zum Fenster – können durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst sein. Dazu zählen beispielsweise Alter und Geschlecht, der kulturelle Hintergrund, unser Persönlichkeitstyp sowie unsere Arbeitsweise.

Ob an Ihrem ausgewählten Arbeitsort Kreativität entfacht und Produktivität maximiert werden können, hängt im Wesentlichen von der Arbeitsumgebung ab. Letztendlich geht es hierbei um mehr als nur Ästhetik. Zahlreiche Studien zeigen, dass zwischen Büros mit einem guten Design und der Einsatzbereitschaft sowie Leistung- und Innovationsfähigkeit der Mitarbeiter eine Verbindung besteht(1). Pionierunternehmen haben mit fünf Mal höherer Wahrscheinlichkeit Arbeitsplätze, bei denen der Schwerpunkt auf einer Kombination aus individuellen und Gruppen-Arbeitsplätzen liegt(2).

Regus Sarona in Tel Aviv bietet Coworking Spaces, die auf Einzelarbeit ausgerichtet sind.

 

Der Gendergap

Neben anderen Faktoren beeinflussen geschlechtsspezifische Unterschiede das Bürodesign. Es beginnt bei kleinen Dingen wie der Temperatur. Eine 2015 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie(3) zeigt, dass die perfekte Raumtemperatur für Frauen 3°C über der für Männer perfekten Temperatur liegt.

Dies ist der Fall, da Frauen einen deutlich geringeren Grundumsatz als Männer haben. Männer neigen dazu, sich bei einer Raumtemperatur von 22 °C am wohlsten zu fühlen. Frauen ist diese Temperatur häufig etwas zu kühl. Das Problem ist, wie in der britischen Tageszeitung The Guardian erklärt wird(4), dass die Klimatisierung in Bürogebäuden auf einem in den 1960er-Jahren festgelegten Komfortstandard basiert. Dieser orientiert sich wiederum am Grundumsatz eines 40-jährigen Mannes, der 70 kg wiegt.

Wenn es um weitere geschlechtsspezifische Vorlieben geht, lassen Forschungsergebnisse darauf schliessen, dass Frauen sich in geschlossenen, voneinander getrennten Arbeitsräumen wohler fühlen als in Grossraumbüros. Laut einer Studie der Zeitschrift «Gender, Work and Organization» seien sich Büroarbeiterinnen Ihrer Sichtbarkeit mehr bewusst, was sie häufig eher als Verunsicherung als Befreiung empfänden.

Dr. Alison Hirst, leitende Autorin an der Anglia Ruskin University in Grossbritannien, sagt, «Frauen mache die Vorstellung, ständig beobachtet zu werden, Angst. Zudem hätten sie das Gefühl, sich auf eine bestimmte Art und Weise kleiden zu müssen.»(5)

Betrachten wir das Ganze in einem größeren Zusammenhang: Eine US-Studie(6) zeigt beispielsweise, dass “umgebende Identitätssignale" Auswirkungen auf die Geschlechterverteilung am Arbeitsplatz haben können.

«Ist eine Schule mit christlichen Symbolen verziert, könnte es dazu kommen, dass ein nicht religiöser Schüler es sich zwei Mal überlegt, ob er sich an dieser anmeldet,» erklärt Sapna Cheryan, eine der Verfasserinnen der Studie. «Durch eine Stadt zu fahren, in der es Fahrradläden gibt und jedes zweite Auto eine Skibox auf dem Dach hat, könnte für Personen, die sich selbst nicht als Outdoor-Fans betrachten, unattraktiv erscheinen. Oder: Wenn in einem Geschäft laute Discomusik läuft, könnte dies älteren Käufern signalisieren, dass sie hier deplatziert sind.»

Cheryan fügt hinzu: «Beachten Sie, dass bestimmte physische Umgebungen für einige ausgrenzend, für andere jedoch einladend erscheinen – nämlich denjenigen, für die die umgebenden Identitätssignale Integration signalisieren. Einige Umgebungen können mit einer der sozialen Identitäten, die etwas deutlicher hervorstechen (zum Beispiel Geschlecht und Ethnizität) unvereinbar sein.»

In einer Büroumgebung könnte man möglicherweise mehrere umgebende Identitätssignale finden – sind die Konferenz- und Tagungsräume beispielsweise alle nach wichtigen Männern benannt? Handelt es sich bei der Kunst an den Wänden um eine frauenfreie Zone?(7)

Regus Gati in Jerusalem

Bei Regus Gati in Jerusalem ist die Inneneinrichtung geschlechtsneutral gestaltet

 

Der Generationskonflikt

Wie sieht es mit Ihrem Alter aus? Hat dieses Einfluss auf Ihre Vorlieben bezüglich des Bürodesigns? Es gibt nachweislich Generationenunterschiede. Einige Umfragen zeigen, dass jüngere Arbeitnehmer empfindlicher auf die Art und Weise reagiere, wie Büros gestaltet sind – oder sie sind schlicht und einfach weniger bereit, sich mit schlechtem Design zu arrangieren.

Laut einer Studie, die im vergangenen Jahr von Ipsos durchgeführt wurde, sagten 76 % der Büroangestellten zwischen 18 und 34 Jahren, dass das Bürodesign Einfluss darauf habe, wie sie über ihr Unternehmen dachten. Lediglich 39 % der über 55-Jährigen stimmten dem zu. Laut einer weiteren Umfrage hat mehr als ein Fünftel der 18- bis 24-Jährigen aufgrund des schlechten Designs in Ihrem Büro Ihren Job gekündigt.

Ältere Angestellte haben ebenfalls Präferenzen, die nicht ignoriert werden sollten. Die sogenannten Babyboomer (diejenigen, die zwischen den frühen 1940er-Jahren und Mitte der 1960er-Jahre geboren wurden) machen schätzungsweise immer noch ein Viertel der Arbeitskräfte aus. Sie gehen heutzutage später in Rente als je zuvor. Dadurch wird der Altersunterschied in den Büros noch grösser.

Während ihre jüngeren Kollegen «die Qualität von Konferenz- und Tagungsräumen» als den am wenigsten wichtigen Faktor eines guten Büros bewerten, vertreten Büroangestellte der Babyboomer-Generation beinahe die entgegengesetzte Meinung. Eine Studie von Davenport(11) zeigt, dass Babyboomer vermehrt geschlossene Büros bevorzugen – besonders bei der Ausführung von Einzelarbeit, die hohe Konzentration erfordert. Weiterhin zeigen Studien des Trendforschungsunternehmens Springwise(12), dass Babyboomern Alternativen zu Bildschirmarbeit nützen, um Informationen zu erstellen, zu verarbeiten und zu speichern.

Laut eines Berichts des Industriedesigners Knoll, «werden diese sich ändernden Prioritäten einen fundamentalen Wandel der Art und Weise, wie Büros gestaltet werden, bewirken. Dabei wird man sich weg von einer Denkweise bewegen, bei der es lediglich um die blosse Förderung der Funktion und des Ablaufs von Arbeit geht. Der zukünftige Arbeitsplatz wird in der Lage sein müssen, ein stimmiges und ansprechendes Arbeitserlebnis zu schaffen. Unabhängig vom Standort muss dieser einer Vielfalt an unterschiedlichen Arbeitsweisen und einem reibungslosen Arbeitsablauf gerecht werden.»

Die kulturelle Barriere

Einstellungen zur Gestaltung und Dichte von Arbeitsplätzen unterscheiden sich auch stark von Land zu Land. Büroangestellte in chinesischen Städten sind es beispielsweise gewohnt, beim Arbeiten mit einem Drittel des Platzes, der in europäischen und amerikanischen Grossstädten zur Verfügung steht, zurecht zu kommen(13).

Laut des Harvard Business Review(14) «haben Chinesen nicht die gleiche Einstellung zu Privatsphäre wie die Menschen im Westen. Chinesische Arbeitnehmer machen sich am meisten Gedanken über die Kontrolle von Informationen. Zum Beispiel wenn es darum geht, personenbezogene Daten privat zu halten und sich nicht beobachtet fühlen zu müssen. Büroräume, in denen Arbeitnehmern ermöglicht wird, mit dem Rücken zur Wand zu sitzen, werden als erstklassige Immobilien angesehen.»

Auch die Arten von Büroräumen, die benötigt werden, können von Kultur zu Kultur variieren. Im Gegensatz zu Amerika wird in Frankreich beispielsweise mehr Zeit in Meetings investiert. «[Ich habe festgestellt, dass] Meetings in Frankreich tendenziell etwas länger sind und es viel mehr konzeptionelle Debatten gibt», sagt die gebürtige Französin Emma Seppälä, die an der Yale University und der Stanford University unterrichtet. In einem Gespräch mit Business Insider(15) sagt sie: «Amerikanische Meetings laufen immer gleich ab: Sie machen dies und Sie machen das …» Im Vergleich dazu stellte Seppälä fest, «dass die französische Denkweise in die Richtung geht, dass man, bevor man zu einer Schlussfolgerung kommt, alles in der Theorie durchsprechen muss, das heisst, es muss auf alle Konzepte und Philosophien eingegangen werden.» Ein Büro, das keine angemessenen Konferenz- und Tagungsräume besitzt, wird somit wenig geeignet sein.

Regus Torre Aragonia in Saragossa, Spanien

Regus Torre Aragonia in Saragossa, Spanien, ist mit halböffentlichen Arbeitsplätzen für Gruppenarbeiten und Meetings ausgestattet.

 

Pufferlösungen

Es ist einfach, darin zu versinken, die eigenen Angestellten in den einzelnen Abteilungen zu analysieren. Neil Usher, Autor von «The Elemental Workplace», rät in diesem Zusammenhang: «Um ein ausgezeichnetes Design am Arbeitsplatz zu erreichen, ist Balance erforderlich – in den seltensten Fällen ist ein schräges Design die Lösung. Ein Design, das an ein demographisches Vorbild oder einen Persönlichkeitstypen angepasst ist, ist grundsätzlich eher einschränkend. Unsere Arbeitsplätze müssen Vielfalt und Integration widerspiegeln. Dafür müssen sie Wahlmöglichkeiten aufzeigen und die notwendige Erlaubnis vermitteln, diese zu nutzen. Hierzu kann ich nur Folgendes raten: Glauben Sie den Mythen des Internets nicht, sondern nehmen Sie eine kritische Haltung ein.»

«Es ist machbar – überall auf der Welt, in jeder Branche und für jedes Budget. Unternehmen, die sich mit diesen wichtigen Themen nicht befassen, werden die Auswirkungen zwangsläufig zu spüren bekommen. Dies kann beispielsweise die Fähigkeit von Einzelnen und Gruppen, effektiv zu arbeiten, oder die Frage, ob Mitarbeiter im Unternehmen bleiben möchten, betreffen.»

Joanna Yarker, ausserordentliche Professorin für Arbeits- und Wirtschaftspsychologie an der Kingston University in London, sagt, dass, obwohl viele Unternehmen zu Hot Desks übergehen, viele Arbeitnehmer «Personalisierung» bevorzugen – unabhängig vom demographischen Vorbild oder Persönlichkeitstyp.

«Was wir feststellen konnten, war, dass Menschen ihren Arbeitsplatz gerne ihrer Persönlichkeit entsprechend gestalten. Dies kann wie ein Puffer gegen Belastungen, die sie am Arbeitsplatz erfahren, wirken» sagt Yarker. «Wenn man nicht in der Lage ist, Dinge auf dem Schreibtisch stehen zu haben, stellt man möglicherweise verschiedene Bildschirmschoner auf dem Computer ein, die auf die eigene Persönlichkeit abgestimmt sind. Dies ermöglicht einem, eine Verbindung zu Dingen zu haben, die man wertschätzt.»

Unterschiede in Einklang bringen

Häufig bedarf es genauerer Überlegung. «Wenn Sie beispielsweise jemanden mit Asperger-Syndrom fragen, wird dieser Ihnen vermutlich sagen, dass er das Arbeiten in einer geschäftigen Arbeitsumgebung als äusserst herausfordernd empfindet», sagt Yarker. «Daher ist es besonders wichtig, einen ruhigen Ort zum Arbeiten zu haben. Wenn Sie jemand sind, der an Reizdarmsyndrom leidet, ist es wichtig darüber nachzudenken, ob sich Ihr Schreibtisch nahe genug zu den Toiletten befindet.»

Die Antwort auf vielfältige Anforderungen, erklärt sie, muss nicht unbedingt darin bestehen, einen grösseren Raum zu schaffen, sondern den vorhandenen Raum flexibel zu gestalten. «Wenn Führungskräfte als Vorbild fungieren, aktiv werden und verschiedene Räumlichkeiten ausnutzen würden, anstatt nur von 08:00 bis 19:00 Uhr an ihrem Schreibtisch zu kleben, würde dies Angestellte ermutigen, den Raum auch auf ihre Art und Weise zu nutzen», fügt Yarker hinzu.

Die Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter ist ebenfalls von wesentlicher Bedeutung, erklärt Sir Cary Cooper, der als Professor im Bereich Organisationspsychologie und Gesundheit an der Manchester Business School tätig ist. «Lassen Sie Ihre Angestellten sich den Raum selbst nehmen, als dass Sie ihnen diesen aufzwingen», sagt er. «Tun Sie Letzteres, werden Sie keinen Erfolg haben. Und Ihre Angestellten werden mit Ideen auf Sie zukommen, an die Sie nie gedacht hätten. Solange Sie diese Ideen in Ihre Planung mit einbeziehen, können Sie die unterschiedlichen Wünsche Ihrer Kollegen in Einklang bringen. So können Sie die Räumlichkeiten für verschiedene Gruppen in den jeweiligen Bereichen des Unternehmens entsprechend unterschiedlich gestalten.»

 


Etan Smallman, Journalist aus Grossbritannien

Quellen:

(1) https://www.forbes.com/sites/jacobmorgan/2015/12/03/how-the-physical-workspace-impacts-the-employee-experience/#726dc3fe779e

(2) https://www.gensler.com/research-insight/workplace-surveys/us/2016

(3) https://www.nature.com/articles/nclimate2741

(4) https://www.theguardian.com/money/shortcuts/2015/aug/04/new-cold-war-why-women-chilly-at-work-air-conditioning

(5) https://www.standard.co.uk/news/uk/women-feel-pressured-to-dress-up-in-open-plan-offices-a3828846.html

(6) http://sciencewithart.ijs.si/pdf/How%20stereotypical%20cues%20impact%20gender
%20participation%20in%20computer%20science.pdf

(7) https://www.thecrimson.com/article/2012/3/5/women-portraits-kennedy-school/

(8) https://www.prnewswire.com/news-releases/workplace-design-matters-when-it-comes-to-millennial-appeal-300545467.html

(9) https://www.independent.co.uk/news/business/news/uk-millennials-rejecting-employers-offices-workplace-design-architecture-a8270686.html

(10) https://www.knoll.com/document/1352940439350/WP_GenerationalDifferences.pdf

(11) https://www.emeraldinsight.com/doi/abs/10.1108/14630010810925136?fullSc=1&journalCode=jcre

(12) https://www.regus.ch/work-uk/how-the-over-65s-are-shaking-up-the-office/

(13) https://www.cbre.com/research-and-reports/apac-space-utilisation-the-next-frontier

(14) https://hbr.org/2014/10/balancing-we-and-me-the-best-collaborative-spaces-also-support-solitude

(15) http://uk.businessinsider.com/differences-between-french-american-work-culture-2017-7?r=US&IR=T